Erst die Rassismusdebatte in den USA führte in Deutschland dazu, dass große Teile der Bevölkerung aktiv gegen Rassismus protestierten. Doch Anti-Rassismus sollte kein Trend sein, auf den man aufspringt, weil es gerade »in« ist – denn dann könnte es auch ganz schnell wieder »out« sein.
Immer wieder zeigt sich: Es muss ein anderer Dialog beginnen, jede*r ist verantwortlich und die Träger*innen weißer Privilegien müssen sich ernsthaft mit den Lebenswelten der »Anderen« auseinandersetzen.
Die junge Journalistin Sara Maria Behbehani möchte mit ihrem politischen Sachbuch Schwarzweißdenken. Was es heißt, ehrlich über Rassismus zu sprechen den Blick für die Debatte weiten und neue Wege zeigen, um aufeinander zuzugehen. Ihre Botschaft lautet: Es ist alles viel komplizierter als wir denken und trotzdem kann alles viel einfacher werden, wenn wir anfangen, einander zuzuhören.
Dabei schreibt sie mit Wut, Einfühlungsvermögen und persönlichem Engagement ein Plädoyer für ein besseres Miteinander, fürs Zuhören und für den täglichen Einsatz gegen Rassismus.
»Wir müssen uns jetzt zuhören. Wir müssen uns jetzt kennenlernen. Jetzt, nicht erst dann, wenn es zu spät ist. [...] Daher dieses Buch. Daher dieses Schreiben. Es ist ein suchendes Schreiben, gleichsam in den offenen Raum hinein, das manchmal auch in den Zynismus oder die Polemik abrutscht, weil manche Dinge so besser zu ertragen sind. Vor allem aber ist es ein Schreiben zwischen Mut und Vertrauen. Mut, weil es ihn kostet, um zu sagen, was ich zu sagen habe. Vertrauen, weil ich denke, dass man es verstehen kann. Es ist ein Schreiben, das nicht versucht, Schuld zuzuweisen, sondern zu begreifen. Weil ich daran glaube, dass man eine ganze Menge begreifen kann. Und dass wir alle versuchen sollten, einander ein bisschen besser zu verstehen.« – Sara Maria Behbehani
Interview mit Sara Maria Behbehani
Ein Kapitel in Ihrem Buch heißt »Vom Anderssein«. Was bedeutet für Sie »Anderssein«?
Ich bin Deutsche. Das steht am Anfang und am Ende von allem, worum es in diesem Buch geht. Und doch machen Deutsche wie ich aufgrund ihres Aussehens oder ihres Nachnamens noch immer die Erfahrung als irgendwie nicht deutsch angesehen zu werden. Man wird zum Fremden gemacht und dabei spielt es keine Rolle, ob man in Deutschland geboren wurde oder nicht, ob man einen deutschen Pass hat oder nicht. Fremdheit hat hier weniger mit dem Menschen zu tun, der als fremd angesehen wird, als mit demjenigen, der sein Gegenüber als fremd betrachtet. Man macht Menschen zu Fremden, zu Anderen, wenn man immer wieder fragt: Wo kommst du her? Man spricht ihnen ihr individuelles Ich-Sein ab, wenn man Menschen mit Migrationshintergrund immer wieder als eine irgendwie homogene Gruppe betrachtet, aus der einer als Vertreter für alle sprechen kann. Und auch Klischees und Vorurteile treffen Menschen mit Migrationshintergrund noch immer. Um daran etwas zu ändern, braucht es nicht nur den Einzelnen, sondern strukturelle gesellschaftliche Veränderungen: Es braucht Bildungs- und Chancengleichheit, ein vernünftiges Einwanderungsgesetz und auch eine Quote, dort, wo sie nötig ist. Damit Vielfalt auf allen Ebenen normal wird und sich Menschen mit und ohne Migrationshintergrund einfach als Individuen begegnen.
Was sind Ansätze, damit Integration gelingt?
Menschen, die migrieren, leben in zwei Welten. Sie müssen ihr Herkunftsland wie das Land, in dem sie fortan leben mit ihren Sprachen, Kulturen und Gesetzen in sich vereinigen. Das ist eine Leistung und die gilt es anzuerkennen. Diese Leistung heißt Integration, gelagert zwischen den Polen von Inklusion und Assimilation. Sprache ist hierbei das Tor in die Wirklichkeit, der Zugang zu einer Gesellschaft. Sie zu beherrschen muss am Anfang von jeder Integration stehen. Das Grundgesetz wiederum ist die Basis dafür. Deutschland braucht keine Debatte um eine Leitkultur. Die ersten fünf Artikel des Grundgesetzes machen in ihrer Gesamtheit jede Leitkultur überflüssig. Innerhalb dieses Rahmens gilt es den Pluralismus als Gesellschaft zu leben und mangelnder Repräsentanz entgegenzuwirken. Integration kann Menschen beinahe zerreißen, und fehlende Integration kann Gesellschaften beinahe zerreißen. Doch dazwischen gibt es Wege, die gegangen werden können und von beiden Seiten den Willen dazu erfordern.
Ihr Buch ist auch ein »Plädoyer für das Zuhören«. Was meinen Sie damit?
»There is a crack in everything«, hat Leonard Cohen einmal gesungen. Da geht ein Riss durch alle Dinge. Ein Riss zieht sich auch durch diese Gesellschaft. Leonard Cohen hat den Riss, der sich durch alle Dinge zieht, als etwas Positives verstanden: »That’s how the light gets in«, hat er dem Riss hintangestellt. So kommt das Licht herein. Auch durch die Risse in unserer Gesellschaft kann Licht dringen. Das Anderssein, das Buntsein kann uns bereichern, statt uns zu spalten. Doch dafür müssen wir als Gesellschaft neu lernen, wie man verantwortungsvoll miteinander diskutiert. Dazu gehört zum einen das Zuhören, das Aushalten des Andersseins, die Fähigkeit, andere Meinungen gelten zu lassen, weil es Meinungen und keine Wahrheiten sind. Zum anderen müssen Wahrheiten und Fakten als solche anerkannt und zur Verhandlungsbasis werden. Die Vergiftung des Diskurses geht dabei nicht nur von den Rechten aus. Auch das links- bis bürgerlich-liberale Lager macht es sich zu oft zu einfach. Das fängt in Twitterblasen an und endet in der Wirklichkeit. Der Diskurs ist zu oft von Arroganz geprägt. Menschen mit anderen Ansichten werden als Faschisten, Fremdenfeinde oder Spinner abgekanzelt.
Wer Menschen pauschal als Rassisten, Sexisten, Verschwörer oder Nazis bezeichnet, im besten Fall als Idioten, treibt die Spaltung der Gesellschaft voran. Und jedes Mal werden radikale Tendenzen verstärkt. Das Ausgrenzen durch Begriffe ist ein billiges Mittel, um der Auseinandersetzung mit Argumenten auszuweichen. Um ein Klima zu schaffen, in dem die Menschen bereit sind, sich für diese Gesellschaft einzusetzen und ihre Ideen einzubringen – und die brauchen wir. Auf jeder Ebene unserer Gesellschaft –, müssen wir wieder lernen, miteinander zu diskutieren, mit Nachsicht statt Gereiztheit, mit Lust am Argumentieren statt dem Willen, recht zu behalten, mit Freude an der Vielfalt statt dem Beharren auf der eigenen Sichtweise. Unsere Unterschiedlichkeiten können wir als Bereicherung betrachten. Als Chance, möglichst viele Blickwinkel zusammenzuführen. Wir müssen den Riss wertschätzen. Wir dürfen es nur nicht zum Bruch kommen lassen. Lernen wir uns also kennen. Von Angesicht zu Angesicht. Bevor es zu spät ist.