Harald Gilbers hat es mit seinem Kriminalroman “Hungerwinter”, dem fünften Fall für Kommissar Oppenheimer, auf die Longlist des diesjährigen Crime Cologne Awards 2021 geschafft.
Der Preis wird seit 2015 jährlich im Rahmen der Crime Cologne verliehen und ehrt den besten deutschen Kriminalroman, welcher “sowohl sprachlich als auch thematisch und psychologisch überzeugt – und dabei spannende Unterhaltung auf herausragendem Niveau bietet”. Die diesjährige Verleihung findet im Oktober auf dem Kölner Krimifestival statt.
Harald Gilbers, geboren 1969, stammt aus Moers am Niederrhein und lebt derzeit in Ostrhauderfehn. Er studierte Anglistik und Geschichte in Augsburg und München. Anschließend arbeitete er zunächst als Feuilleton-Redakteur beim Fernsehen, bevor er als freier Theaterregisseur tätig wurde. Sein Romandebüt "Germania" erhielt 2014 den Friedrich-Glauser-Preis und wurde bislang in acht Sprachen übersetzt. Die Fortsetzung, "Odins Söhne", wurde 2016 in Frankreich mit dem Prix Historia als bester historischer Kriminalroman ausgezeichnet.
Im Oktober 2021 erscheint mit “Luftbrücke” der sechste Fall für den jüdischen Kommissar Oppenheimer. In einem spannenden Interview hat der Autor verraten, worum es in der Fortsetzung seiner historischen Krimi-Reihe geht und worin das Geheimnis seiner Erfolgs liegt.
Worum geht es in Ihrem neuen Roman “Luftbrücke”?
Der Roman spielt 1948 in Berlin. Die Stadt wird immer stärker zur Schachfigur im geopolitischen Spiel der Großmächte. Die Währungsreform in den westlichen Besatzungszonen führt zur Blockade der Landwege durch die sowjetische Militäradministration. Die Lebensmittelversorgung ist nun abgeschnitten, die Bewohner des westlichen Stadtteils müssen aus der Luft versorgt werden. In dieser brisanten Situation stößt Kommissar Oppenheimer auf die Spur eines Serienmörders. Zuerst werden an der Spree abgetrennte Leichenteile aufgefunden, wenig später wird ein konservierter Leichnam entdeckt, der offensichtlich aus verschiedenen Einzelteilen zusammengenäht ist. Der Mörder nutzt die ideologischen Konflikte im Berliner Polizeidienst, um sich der Verfolgung zu entziehen, doch Oppenheimer lässt nicht locker. Er ist schockiert, als er schließlich begreift, was sich hinter diesen Taten verbirgt.
Ihre Krimireihe um Kommissar Oppenheimer wurde bereits in acht Sprachen übersetzt und mit internationalen Preisen ausgezeichnet. Worin liegt das Geheimnis des Erfolgs ihrer Bücher im Ausland?
Bislang waren Nazi-Krimis eher eine Domäne angelsächsischer Autoren. Gleichzeitig habe ich aufgrund meines nationalen kulturellen Hintergrunds einen etwas anderen Zugang zur NS-Vergangenheit als ausländische Schriftsteller. Ich biete also einen ganz spezifischen Blickwinkel auf dieses Thema und bekräftige nicht einfach unreflektiert die üblich gewordenen Stereotypen dieses Sub-Genres. Vermutlich aus diesem Grund hat meine Oppenheimer-Reihe im Ausland auf Anhieb viel Aufmerksamkeit erregt. Grundsätzlich schreibe ich lokale Krimis, die in Berlin spielen, aber weil ich die Geschichten in einen breiten kulturellen und historischen Kontext einbette, ist ihre Anziehungskraft weltweit.
Welche Bedeutung haben Romane über das Dritte Reich und die Nachkriegszeit Ihrer Meinung nach außerhalb Deutschlands?
Hitler und seine Spießgesellen werden in anderen Ländern meistens als dämonische Bösewichte gesehen. Dieses Klischeebild fasziniert die Leute – auch losgelöst von den historischen Tatsachen. Aber es steckt noch viel mehr dahinter. Die interessanteste Frage ist vielleicht, wie sich erklären lässt, dass eine Kulturnation plötzlich in die Barbarei verfällt. Die Lehren, die sich aus der Geschichte des Dritten Reichs ziehen lassen, sind universell und nicht auf Deutschland beschränkt. Gerade heutzutage ist das Thema wieder unerwartet aktuell: Populismus und Nationalismus sind wiedererstarkt, in Europa und weltweit versuchen Autokraten, die demokratischen Prinzipien zu unterminieren. Vor allem die Nachkriegszeit gerät jetzt verstärkt in den Blick, weil viele Errungenschaften aus dieser Phase durch die Trump-Regierung wieder infrage gestellt wurden. Diese historische Periode sagt also sehr viel darüber aus, wie wir zu dem wurden, was wir heute sind. Berlin war lange Zeit über der Brennpunkt des Kalten Krieges zwischen den USA und der UdSSR. Diese Stadt ist ein Sonderfall, weil die Weltpolitik ganz konkret das Alltagsleben beeinflusste und in „Luftbrücke“ lässt sich nachverfolgen, wie das alles seinen Anfang nahm.
Wie sind Sie auf die Idee gekommen, das Grauen dieses schrecklichen Kapitels der deutschen Geschichte mit dem Genre des Kriminalromans zu verbinden? Steckt eine Familiengeschichte oder ein persönlicher Bezug dahinter?
Das Dritte Reich ist ein markanter Einschnitt in der deutschen Geschichte. Vermutlich im Leben eines jeden Deutschen kommt der Punkt, an dem man sich dieser „Erbsünde“ stellen muss. Vor etwas mehr als zehn Jahren bekam ich den Eindruck, dass nun auch ich an der Reihe war. Ich wollte endlich wissen, was geschehen war, suchte nach Erklärungen. Insbesondere wollte ich ganz konkret wissen, wie das Privatleben in der Diktatur aussah – ein Thema, zu dem ich während meines Geschichtsstudiums leider nur wenige Informationen bekam. Meine Eltern haben diese Phase glücklicherweise nicht miterlebt und meine Großeltern hüllten sich in Schweigen. Also begann ich mit den eigenen Nachforschungen. Dass letztendlich ein Kriminalroman daraus wurde, ist ein Resultat meines „gesunden schlechten Geschmacks“. Ich bin ein begeisterter Leser von Spannungsromanen, also lag es nahe, in diesem Genre zu arbeiten. Bis dahin war ich als Theaterregisseur tätig gewesen und meine Romane schließen nahtlos daran an. Auch in diesem Fall geht es mir darum, Hintergrundwissen zu vermitteln, ohne mein Publikum zu langweilen.
Wo verläuft in Ihren Romanen die Grenze zwischen Realität und Fiktion?
Meine Geschichten sind frei erfunden, das Umfeld, in dem sie stattfinden, ist jedoch authentisch. Gelegentlich treten in Nebenrollen reale Persönlichkeiten auf, jedoch nur, wenn sich das organisch ergibt. Bei den Haupthandlungen gibt es naturgemäß viele spekulative Elemente. Ich stelle mir dabei die Frage: „Was wäre, wenn?“ Mein Ziel ist, eine Handlung zu erfinden, die im Prinzip so hätte stattfinden können. Literatur darf das und ich denke, dass meine Leser Spekulation und historische Fakten auch auseinanderhalten können