Im Florenz des 15. Jahrhunderts kreuzen sich die Wege ganz unterschiedlicher Protagonist*innen: Fioretta strebt eine Laufbahn als Malerin an und steht damit stellvertretend für die vielen Künstlerinnen der Renaissance, die mit der Zeit in Vergessenheit geraten sind. Auch der junge Leonardo da Vinci befindet sich noch am Beginn seiner außergewöhnlichen Karriere. Giuliano de Medici muss sich mit seiner Rolle als jüngerer Bruder des Stadtherrn auseinandersetzen, wogegen Albiera zur verfeindeten Pazzi-Familie gehört. Sie alle sind auf der Suche nach ihrem Platz in der Welt und geraten in ein gefährliches Spiel aus Liebe, Macht und Verrat.
Die Machtfülle der Medici rief Neider auf den Plan, bot aber auch große Chancen für Künstler und Gelehrte. Was ist bis heute so faszinierend an dieser Familie?
Noah Martin: »Zum einen ist es sicher die Tatsache, dass die Medici bis ins 16. Jahrhundert hinein keine Adeligen waren, die per Geburtsrecht über Florenz herrschten, sondern zunächst Kaufleute und Händler, dann die Inhaber eines Bankhauses, und schließlich eine der reichsten Familien in Europa. Ihr Aufstieg steht stellvertretend für die Möglichkeiten, die das Bürgertum in der Renaissance plötzlich hatte. Lorenzo der Prächtige spielt dabei eine besonders herausragende Rolle: Er herrschte mehr als 20 Jahre lang über Florenz, ohne jemals ein offizielles Amt zu bekleiden. Neben dem politischen Geschick ist es aber auch das Interesse für Kunst und Kultur, welches die Familie auszeichnete: Sie unterstützte und förderte die Künstlerwerkstätten in Florenz und arbeitete eng mit den bekanntesten Malern und Architekten der Renaissance zusammen.«
Einer dieser Künstler war Leonardo da Vinci. In »Florentia« ist er noch nicht das geniale Universalgenie, als das er bis heute bekannt ist, sondern ein junger Mann, der seinen Weg erst noch finden muss - als Künstler, als Freund und auch als Liebender.
Noah Martin: »Leonardo war schwul; das wird heute von der Forschung als sicher angesehen. Trotzdem hat sich die Kunstgeschichte bis vor relativ kurzer Zeit gescheut, Leonardos Queerness anzuerkennen und sich damit auseinanderzusetzen, obwohl diese natürlich auch Einfluss auf seine Weltsicht, seine Modelle und seine Werke hatte.«
Ob es die unbekannte Seite Leonardos ist oder das Verhältnis der Medici-Brüder Lorenzo und Giuliano, die gemeinsam das Familienunternehmen führen und sich neben den Bedrohungen von außen auch ihren persönlichen Konflikten stellen müssen: Wie gelingt es, die vielen historischen Persönlichkeiten so lebendig und nahbar zu beschreiben?
Noah Martin: »Zum einen habe ich natürlich viele Biografien gelesen; die Bücher über Lorenzo, Leonardo und Botticelli füllen bei mir einige Regalmeter. Dazu hat mir die Recherche vor Ort sehr geholfen – ich finde es immer wieder inspirierend, in Florenz zum Beispiel die Wege abzulaufen, die auch schon die Medici gegangen sind, oder die Leonardo täglich zurücklegen musste. Dazu gibt es das großartige Angebot des Medici Archive Projects in Florenz, die in ihren Dienstags-Talks immer eine Facette oder eine Person der Familiengeschichte wissenschaftlich beleuchten. Dadurch kann man einige wunderbare Einblicke erhalten.«
»Florentia« erweckt diese tiefgehende Recherche zum Leben und erzählt von Liebe und Macht, Kunst und Politik, Krieg und Verrat. Die Protagonist*innen erleben die spannende Zeit der italienischen Renaissance am eigenen Leib. Für Noah Martin war es wichtig, sich bei jeder einzelnen Person zu fragen, was sie eigentlich antreibt:
Noah Martin: »Denn auch, wenn die Menschen in der Renaissance natürlich andere Weltbilder und Vorstellungen hatten, und sicher über vieles anders dachten als wir es tun, sind es doch im Kern immer noch dieselben Dinge, die uns bewegen – Hoffnungen, Ängste und Träume, Liebe, Neid und Zorn.«