Geboren in Chartres, widmet sie sich darin einer der oftmals unerzählten Geschichten des Zweiten Weltkrieges. Durch die Augen der »Geschorenen von Chartres«, einer Frau, die als Täterin der Zeitgeschichte galt, bietet Héraclès einen facettenreichen Blick auf menschliche Entscheidungen unter extremen Bedingungen. Die Rede ist von Simone Touseau, die 1944 in den Straßen von Chartres gedemütigt wurde. Ihr Schicksal wird zum Brennpunkt einer Auseinandersetzung mit Fragen der Moral, der Liebe und des Überlebens.
Julie Héraclès wählt in ihrem neuesten Buch eine narrative Perspektive, die es erlaubt, die Gedanken ihrer Protagonistin zu erkunden, ohne dabei deren Entscheidungen zu beschönigen. Inspiriert ist ihr Roman von dem ergreifenden Foto »La Tondue de Chartres«. Darauf zu sehen ist die mit einem Hakenkreuz gebrandmarkte, kahlrasierte Simone Touseau – eine Nazikollaborateurin. In »Ihr kennt mich nicht«, wird sie zum Ausgangspunkt einer intensiven Betrachtung individueller Schicksale im Krieg. Julie Héraclès Ziel ist es, das Schweigen um die Komplexität von Kollaboration und Widerstand zu durchbrechen und einen Diskurs anzustoßen, der weit über die Literatur hinausgeht. Sie fordert ihre Leser*innen heraus, sich mit den Schattenseiten der menschlichen Natur auseinanderzusetzen und diese entsprechend einzuordnen.
Die literarische Welt hat diese Herausforderung angenommen und »Ihr kennt mich nicht« jüngst mit dem Prix Stanislas für den besten Debütroman und dem Prix du Roman FNAC ausgezeichnet. Kritiker*innen loben Héraclès’ Roman vor allem für seine subtile Erzählkraft und die schonungslose Darstellung der Protagonistin, wobei die Grenzen zwischen historischer Faktenlage und literarischer Interpretation geschickt navigiert werden.
»Ihr kennt mich nicht« von Julie Héraclès fordert uns dazu auf, ein dunkles Kapitel unserer Geschichte erneut aufzuschlagen und dabei von menschlichen Reaktionen und Handlungen in herausfordernden Zeiten zu lesen.