Hanna Caspian schreibt gerne über deutsche Geschichte, weil für sie das Schreiben immer auch eine Suche nach Heimat und ihrer Vergangenheit ist, die von der Geschichte Deutschlands geprägt ist. Einen Heimatort in dem Sinne kennt sie nicht, 20 Jahre hat sie in Aachen gelebt, nun lebt sie seit gut 20 Jahren wieder in Köln. Wenn sie sich nicht mit der deutschen Geschichte beschäftigt, dann mit ihrer eigenen Vergangenheit und wie sie zu dem Menschen geworden ist, der sie heute ist.
Seit 2018 veröffentlicht Hanna Caspian unter diesem Pseudonym, ihr Debütroman erschien jedoch schon vor zwanzig Jahren. Die politischen Entwicklungen faszinieren die studierte Politikwissenschaftlerin am meisten, gleichzeitig soll die Politik nicht den größten Raum in ihren Romanen einnehmen. Der Fokus ihrer neuen Saga liegt daher auch wieder auf den Figuren selbst, die am meisten unter den Entwicklungen leiden, weil sie am wenigsten zu sagen haben: der Unterschicht. Diener, Gouvernanten und Hausmädchen in Schlössern, deren edle Steintreppen und strahlende Kronleuchter sie nie so erleben werden wie die Oberschicht. Hanna Caspian schafft es, gesellschaftliche und politische Hintergründe wie den größten Polit-Sex-Skandal des Kaiserreiches mit den spannenden und emotionalen Geschichten ihrer Figuren zu verbinden. Schloss Liebenberg erzählt vom harten Arbeitsalltag der Dienstboten genauso wie von ihren Träumen und der Hoffnung auf ein besseres Leben.
Sich nach sieben Jahren von den liebgewonnenen Figuren aus der »Gut Greifenau-Saga« zu verabschieden, fiel Hanna Caspian zunächst schwer. Denn ein neues Buch und noch dazu eine Reihe ist wie das Reisen in ein unbekanntes Land. Alles muss neu erfunden werden. Doch die neue Saga - eine Mischung aus »Eaton Place« und »Gosford Park« - bietet genügend Unterschiede, um den Neustart zu erleichtern. Schloss Liebenberg ist zwar auch ein Landgut, aber vielmehr noch ein Schloss und geografisch deutlich näher an Berlin, dem Kaiser und dem Zentrum der Macht. Auch die gesellschaftliche Schere geht bei Schloss Liebenberg deutlich weiter auseinander und das Landgut wird zur Nebensache, weil das Leben der Unterschicht im Vordergrund steht. Statt um Landwirtschaft geht es um politische Ränkespiele und Macht.
»Schloss Liebenberg - Hinter dem hellen Schein« beginnt 1906 in Brandenburg: Die achtzehnjährige Adelheid, Tochter eines Tagelöhners, soll auf Schloss Liebenberg als Stubenmädchen anfangen. Niemals hätte sie sich so ein Glück träumen lassen, denn nun kann sie für ihre hungernde Familie sorgen. Außerdem darf sie mit Viktor, einem der Diener, zusammenarbeiten, zu dem sie sich vom ersten Moment an hingezogen fühlt. Doch ihr Glück ist nicht von langer Dauer, denn es ruft Neider auf den Plan, die das unschuldige Mädchen in eine Falle locken. Adelheid wird zum Hausmädchen degradiert und muss nun mit der erfahrenen Hedda Pietsch zusammen in einer kleinen Stube wohnen. Die beiden jungen Frauen werden zu Freundinnen in höchster Not – und zu Zeuginnen eines der größten Skandale des deutschen Kaiserreichs…
»Niemand glaubte, dass sie ein Stubenmädchen war, oder sein könnte. Sie selbst glaubte es nicht. Aber das war einerlei. Sie musste eins sein, ein perfektes Stubenmädchen. Nur das zählte. [...] Hinter all dem schönen Schein lauerte etwas. Sie wusste noch nicht, was sie alles zu erwarten hatte, aber Neid, Boshaftigkeit und Missgunst waren auf jeden Fall darunter.«
1) Ihre Romanreihen spielen beide Anfang des 20. Jahrhunderts im damaligen Deutschen Reich. Was fasziniert Sie an der Zeit?
Im Grunde beschäftige ich mich mit der Geschichte, die auf meine eigene Lebenszeit einen nachhaltigen Einfluss hat. Meine Großeltern sind noch im Kaiserreich geboren worden und in der Weimarer Republik großgeworden. Meine Eltern sind in der Nazizeit geboren, und während der Kriegszeit großgeworden. Das sind ja die Menschen, die mich und meinen Lebensweg am meisten beeinflusst haben. Die Ausgangsfrage für die Schloss Liebenberg Trilogie war die also Frage, wie es zu einer derart katastrophalen ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts kommen konnte. Eine unheilvolle Zeit, deren Nachwirkungen uns bis heute beeinflussen.
2) Hintergrund Ihrer neuen Trilogie ist die sogenannte Eulenburg-Affäre. Können Sie in ein paar Sätzen skizzieren, worum es dabei ging und warum Sie sie in den Fokus Ihrer neuen Reihe gestellt haben?
Fürst Philipp zu Eulenburg, der beste Freund des letzten deutschen Kaisers, wurde 1906 den Berliner Journalisten M. Harden in einer unfassbaren Schmutzkampagne der Homosexualität beschuldigt. Der Kaiser distanzierte sich umgehend von Eulenburg und der sogenannten Liebenberger Tafelrunde, einem Kreis engster Kaiserfreunde, die zudem im Verdacht stand, eine Kamarilla, also eine heimliche Nebenregierung zu sein. Ab sofort umgab der Kaiser sich nur noch mit „echten Kerlen“, also politischen und militärischen Hardlinern. Es fehlte an ausgleichenden und frankreichfreundlichen Kräften am kaiserlichen Hof. Zudem rückte ein Deutsch-Österreicher mit besten Kontakten zum österreichischen Kaiserhaus auf dem Platz des neuen besten Freundes – Fürst Max Egon II zu Fürstenberg. Dass Kaiser Wilhelm II im Juli 1914 dem Bündnispartner den berühmten Blankoscheck für den Kriegsfall gegen Serbien ausstellte, ist u.a. auf diese Freundschaft zurückzuführen. So kann man die damalige Homophobie als eine wichtige Stellschraube für den Ausbruch des ersten Weltkrieges benennen – der Ur-Katastrophe des 20. Jahrhunderts. Der Rest ist finsterste deutsche Geschichte, so wie wir sie heute kennen.
3) Die neue Trilogie kann man mit Fug und Recht als "Geschichte von unten” bezeichnen. Warum haben Sie diesmal die Perspektive der Dienstboten gewählt?
Der Roman soll die Lebenswirklichkeit derjenigen abbilden, die am meisten unter den politischen Zuständen gelitten haben, ohne in der Geschichtsschreibung Erwähnung zu finden. Im Vordergrund wird geputzt, geschleppt, gekocht, gedienert und gehorcht. Es geht um ihre harten Lebens- und Arbeitsbedingungen, um ihren niedrigen Stand, und der Suche nach ein wenig Glück. Es geht um das Motiv der Gerechtigkeit und der qua Geburt ererbte ungerechte Stellung in der Gesellschaft. In einer Zeit, in der den Dienstherren noch das körperliche Züchtigungsrecht zustand, kämpfen die Massen für den Zehn-Stundentag, für Arbeitsrechte und ein wenig persönliche Freiheit. Die Dienstboten, die von ganz unten kommen, erlebten den Skandal hautnah mit, die Intrigen und die Täuschungen, die Lügen und Prozesse. Unterdessen müssen sie als weitgehend Rechtlose zusehen, wie die Mächtigen um Wahrheit und Gerechtigkeit schachern. Im Kleinen spiegelt die Dienstbotenetage das Leben am kaiserlichen Hofe wider.
4) Hätten Sie gerne in jener Zeit gelebt?
Liebend gerne würde ich sofort vier Wochen Urlaub in dieser Zeit buchen, aber niemals wollte ich damals dort leben. Und schon gar nicht als Frau. Keine Rechte, keine Antibiotika, und vermutlich viel zu dünner Kaffee – nein, das wäre nichts für mich.